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Angela Merkel badet im Anti-Atom-Konsens, titeln die Zeitungen. Die schnelle Wende von einer Politik, die mit der Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke der Atomenergie eine lange Perspektive geben wollte, hin zu einer Politik, die nun mit einem Moratorium die alten Atommeiler vom Netz nimmt und zumindest suggeriert, es würde überhaupt Abschied von der Atomenergie genommen, ist überraschend. Das alles soll der Unfall des Atomkraftwerks Fukushima bewirkt haben: also der unkontrollierbare Prozeß der Kernschmelze, die radioaktive Verseuchung des Meeres und des Grundwassers, die Verstrahlung von Menschen, die ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Reaktoren wieder unter Kontrolle zu bringen und schließlich die Verstrahlung weiter Landstriche weit über die unmittelbare Umgebung des Kraftwerks hinaus. Im Umkreis von zwanzig und mehr Kilometern wurde evakuiert, mittlerweile wurde ein Sperrgebiet für lange Zeit eingerichtet. Möglicherweise muß die Bevölkerung in noch größerem Umfang aus der Gefahrenzone umgesiedelt werden. Kurzzeitig schien es so, daß selbst Tokio von einer Evakuierung bedroht sein könnte. Aber wie sollte das wohl gehen, fragten die Journalisten. Das werden sich möglicherweise und hoffentlich auch die Manager der Energieunternehmen und die Politiker gefragt haben, die vor wenigen Monaten noch in der Atomkraft eine unabdingbare Brückentechnologie sahen. Um wenige Jahre Profit zu machen, beschlagnahmen sie die Zukunft der Menschheit.

Was würde denn passieren, wenn eine der vielen meldepflichtigen Unfälle in einem der deutschen AKWs zu ähnlichen Kettenreaktionen des Versagens von Sicherheitssystemen und sog. „menschlichem Fehlverhaltens“ führen würde? Viele der AKWs liegen nah an städtischen Ballungsräumen, gäbe es Verstrahlung, müßten Städte wie Hamburg oder Mannheim geräumt werden, Infrastrukturen wie an AKWs vorbeiführenden Autobahnen oder Eisenbahnlinien wären nicht mehr nutzbar. Dies wäre nicht für einige Monate so, für einige Jahre, sondern für Jahrzehnte und Jahrhunderte. Eine ganze Region, ganze Städte wären in einem dicht besiedelten Raum nicht mehr bewohnbar, nicht mehr zu durchqueren. Weiträumige Umgehungen müßten geschaffen werden. Viele Menschen würden erkranken, es müßten andernorts neue Wohnungen und Häuser gebaut werden. Viele Produktionsstätten gingen verloren, Maschinen ebenso wie schon hergestellte Produkte wären unbrauchbar, Arbeitskräfte würden an andere Orte gehen. Milliarden würde der Rückbau des verstrahlten Meilers kosten. Es fehlt die Phantasie, was all die Folgen wären für eine Gesellschaft wie Deutschland. Vielleicht dämmerte den politischen Entscheidungsträgern angesichts der Tragödie von Fukushima, der inkompetenten Maßnahmen des Unternehmens Tepco, der ratlosen Maßnahmen seiner Techniker, der Hilflosigkeit der japanischen Regierung und der desinformierenden japanischen Medien, was im Unglücksfall auf Deutschland zukommen könnte. Fukushima machte deutlich, daß ein solcher Unfall auch in einem technologisch hoch entwickelten Land geschehen konnte. Alle die Experten, die noch Tage nach dem Unfall in den Fernseh-Talkrunden behaupteten, in Japan sei nicht möglich, was in Tschernobyl geschah, es handele sich um einen anderen Reaktortyp, alles sei sicher – sie haben sich getäuscht. So viel zur Qualität des Rats vieler Fachleute.

Der Umweltminister und die Kanzlerin teilten alsbald mit, mit dem Unfall in Japan habe sich die Lage geändert, darauf müsse die Politik reagieren. Es ist gut, daß das für sie der Fall ist und sie nun zur Überraschung der Medien, der CDU und CSU-Mitgliedschaft vorhaben, aus der Atomenergie auszusteigen. Eher noch als im Fall des seinerzeitigen Atomkonsenses könnte es dieses Mal wirklich geschehen. Selbst die härtesten Lobbyisten stehen unter dem Druck der Investoren, wie die Aktionärsversammlung von REW am 20.4. gezeigt hat. Damit hatte der großspurig auftretende Vorstandsvorsitzende Jürgen Großmann nicht gerechnet, daß die kommunalen Anteilseigner oder Vertreter von Investmentfonds seine Unternehmensstrategie nicht mehr unterstützen wollten. Dennoch, die Lage ist nicht neu. Um Recht zu behalten, muß daran erinnert werden, daß seit Jahrzehnten gerade auf die Möglichkeit eines solchen Unglücks von den Hunderttausenden von Bürgern und Bürgerinnen hingewiesen wurde, die sich gegen die Atomkraft engagiert haben. Auch das sollte bei der Politik einen entscheidenden Lerneffekt auslösen. Die Bürger wissen es besser als sie selbst und viele der „geschmierten“ Experten. Aber es geht um mehr.

In Japan hat sich Tsunehisa Katsumata, der Chef des Unternehmens Tepco, vor der japanischen Öffentlichkeit entschuldigt für alle die Unannehmlichkeiten, die sein Unternehmen den Anwohnern der Regionen bereitet hat. Das ist nur eine symbolische Geste. Materiell bedeutet dies für die Betroffenen wahrscheinlich wenig. Im besten Fall werden ihnen die unmittelbaren materiellen Schäden ersetzt. Nicht einmal damit ist wirklich zu rechnen. Wie ist das mit der deutschen Regierung? Nach ihrer neuen Beurteilung der Lage wäre als symbolische Geste dringend eine Entschuldigung gegenüber all denjenigen angebracht, die jahrzehntelang gegen die Atomkraft protestiert haben. Sie haben recht behalten und vielleicht dazu beigetragen, großen Schaden abzuwenden. Die Regierung hat dies nun auch endlich eingesehen und sollte dies auch öffentlich sagen. Denn der Preis war hoch. Viele Menschen haben sehr viel Zeit, Gesundheit oder für den Protest gegen die Kerntechnologie geopfert; sie wurden von Politik, Wissenschaft und Medien lächerlich gemacht oder beschimpft, kritische Wissenschaftler haben Berufsverbot erhalten oder wurden bespitzelt und des Terrorismus verdächtigt, Demonstranten wurden krankenhausreif geschlagen, inhaftiert und vor Gericht gestellt. Mehr als ein symbolischer Akt wäre es, wenn endlich ein nationales Krebsregister eingeführt würde und die Krebserkrankungen in der Nähe von AKWs nicht weiter geleugnet würde, sondern die Betroffenen Unterstützung erhielten. All das hat die deutsche Gesellschaft tief geprägt. Eine solche Entschuldigung könnte dazu beitragen, die Demokratie der Bundesrepublik zu demokratisieren.

Aber mehr noch. Die Energiewende vermittelt den Eindruck, daß sie gar keine wirkliche Wende einleiten will. Damit meine ich nicht die Atomkraft. Vielmehr werden die Technologien für erneuerbare Energien so eingesetzt, daß die Machtstellung der großen Unternehmen nicht geschwächt wird. Es werden die großen Netze nicht nur beibehalten, sondern auch noch weiter ausgebaut, also die Höchstspannungsleitungen, die von den Kraftwerken zu den Nutzern führen. Nun sind neue Netze notwendig: von den Windparkanlagen in der Nordsee oder zukünftig von Desertec in der Sahara zu den industriestarken Regionen in Deutschland oder Europa. Die Deutsche Netzagentur spricht von 3.600 Km, die neu verlegt werden müßten, es geht um Investitionen, deren Summe sich zwischen 10 und 29 Mrd. Euro bewegt, je nachdem, ob sie über- oder unterirdisch verlegt werden. Im Fall von Desertec wären grob geschätzt 400 Mrd. Euro Investitionen notwendig, 3.600 Km Stromleitungen müßten verlegt werden (vgl. taz, 20.4.2011, www.taz.de/1/zukunft/schwerpunkt-anti-akw/artikel/1/intelligent-vernetzte-stroeme/). Längst haben sich zahlreiche Bürgerinitiativen und Proteste gegen den Ausbau neuer Stromautobahnen formiert; und erneut werden Menschen mit dem Hohn der Journalisten, der Wissenschaftler oder der Kabarettisten überzogen, anstatt es für selbstverständlich zu halten, daß die ganze Gesellschaft über diese Frage der Schaffung einer gewaltigen Infrastruktur erst einmal gründlich nachdenkt und diskutiert. Diese neuen Netze kosten gewaltige Summen, sie dienen dem Machterhalt und Gewinn der großen Unternehmen, sie beeinträchtigen die Gesundheit und die Lebensqualität vieler Menschen, sie tragen dazu bei, daß das so schädliche Exportmodell Deutschland aufrecht erhalten wird. Alles wird getan, nur nicht das Richtige, das ja möglich wäre, wie Solarzentren oder Energiedörfer schon längst demonstrieren: also unter demokratischer Beteiligung der Vielen die dezentrale Energieerzeugung in virtuellen Kraftwerken, die mittels Sonne, Wind oder biologischer Abfälle verschiedene Formen erneuerbarer Energie erzeugen und vorrangig über regionale intelligente Netze verteilt werden. Damit könnte und sollte eine umweltverträgliche, soziale und demokratische Reorganisation unserer Wirtschaft einhergehen, die den Verbrauch an Ressourcen und Energie deutlich senkt. Die Regierung sollte also mit einer dringend gebotenen Entschuldigung gegenüber all denen, denen in den vergangenen Jahrzehnten geschadet wurde, auch die demokratische Aufmerksamkeit denen gegenüber verbinden, die schon längst für neue Perspektiven der Energieversorgung argumentieren.

3 Responses to “Energiewende? Die Atomkraft ist Vergangenheit, nun geht es um die Netze”

  1. […] Demirović hat recht: Vergesst die Atomkraft, die ist durch, jetzt geht es um die Netze. Und das stellen sich unmittelbar die großen Fragen von Gerechtigkeit und Demokratie. […]

  2. […] Protest aufmerksam machen.” Konkret heißt das z.B. in der Atomausstiegsdebatte: Vergesst die Atomkraft, die ist durch, jetzt muss es darum gehen: Wem gehören die Netze. Das ausführliche Selbstverständnis ist mit einem Zitat des Situationisten Asger Jorn […]

  3. […] geht’s also zum Artikel Energiewende? Die Atomkraft ist Vergangenheit, nun geht es um die Netze – hier zum Artikel Demokratisierung und Gerechtigkeit: Ran an die Rücklagen der […]

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