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Im „MorningBriefing“ des Handelsblatt von heute heißt es:

„In der CDU gilt Angela Merkel als entzaubert, aber nicht als entmachtet. Die Konservativen in der Union drängen aber auf inhaltliche Korrektur des Merkel-Kurses. Außenpolitischer Pazifismus, Sozialstaatsausbau, Schuldenpolitik und eine Gegnerschaft zur Kernenergie sind keine Option, zumindest keine die dem Machterhalt der CDU/CSU dient. So werden konservative Positionen überflüssig.“

Bezug ist ein Gespräch mit Friedrich Merz, der, so das Handelsblatt weiter „mit seinen deutlichen Worten heute nicht allein bleiben” werde.
Es fällt schwer, diese Argumentation nachzuvollziehen – außenpolitischer Pazifismus, Sozialstaatsausbau und Gegnerschaft zur Kernenergie wird man bei der gegenwärtigen Regierung wie auch im Staat BRD kaum finden. Offensichtlich unterstellt das Handelsblatt aber keinen innenpolitischen Pazifismus – auch eine interessante Aussage.
Man muss schon sehr konservativ sein, in der Realpolitik der Bundesregierung Verrat an Traditionen zu sehen. Es ist beängstigend, welches Weltbild sich hinter den vom Handelsblatt referierten Wertungen verbergen mag. Ob nun in der CDU „Glaubenskriege“ ausbrechen, wie die FTD meint, oder ob eine tatsächliche Strategiedebatte ausbricht, wird sich zeigen. Fakt ist, dass für die weitere Entwicklung nicht die Stimmenverluste der einen und die Stimmengewinne der anderen entscheidend sind, sondern das hessische Ja zur Schuldenbremse. Es ist gelungen, den Unterschied zwischen der Institution Schuldenbremse und der berechtigten Forderung einer nachhaltigen Finanz- und Haushaltspolitik zu verwischen. Und dies ist ein wichtiger Erfolg. Er verschafft der langfristigen Einschränkung der Spielräume der öffentlichen Hand und der fortgesetzten Privatisierungspolitik breite Legitimation. Damit sind an einer zentralen Stelle staatlichen Handelns entscheidende Prämissen gesetzt, die von welcher Regierung auch immer nur schwer aufzuheben sein werden. Unabhängig davon, ob sich in der Praxis Möglichkeiten ergeben, sie zu umgehen: immer wenn der Sozialstaat abgebaut werden soll und wenn die Privatisierungsschraube angezogen wird, wird die Schuldenbremse, in Hessen nun gar vom Volke bestätigt, das Argument sein. Widerstand ist erst einmal delegitimiert.
Bereits seit längerem arbeitet die CDU in Thüringen an der Einführung der Schuldenbremse in der Verfassung. Dabei entdeckt sie nun auch den Volksentscheid zu haushaltsrelevanten Fragen als Hebel. Dies wird nun sicher durch das Ergebnis in Hessen beschleunigt werden. All dies wohlgemerkt ohne ernsthafte Diskussion darüber, ob die öffentlichen Leistungen eigentlich angemessen finanziert sind und ohne ernsthafte Debatte der Einnahmeseite. Auf ihrer Mitteldeutschland-Konferenz Mitte 2010 hatten die CDU-Verbände von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erklärt: „Oberste Prämisse solider Haushaltspolitik muss sein, dass die Ausgaben an die Einnahmeentwicklung angepasst werden.“ Wir werden also mit Sicherheit weitere Vorstöße von der Art des Volksentscheides in Hessen zu erwarten haben.
Die öffentliche Akzeptanz dieses Kurses relativiert die Stimmverluste der CDU. Merkel ist in dieser Hinsicht klüger als Merz – wenn vielleicht auch nicht bewusst. Irgendwie ähnlen sich die Konstellationen der Regierungszeiten von Schröder und Merkel – beide mußten zwar mit Stimmverlusten bezahlen, haben aber ihren NachfolgerInnen völlig veränderte Bedingungen hinterlassen. Merkel konnte aufsetzend auf die Politik Schröders den neoliberalen Umbau vorantreiben, auch wenn bestimmte Neujustierungen in bestimmten Bereichen erfolgen mussten. Merkel wird es gelingen, dem anstehenden Wandel hin zu einem „grüneren“ Kapitalismus einen neoliberalen Stempel aufzudrücken – auch und gerade durch die Institution der Schuldenbremse und die von diesem Geist geprägte EU-europäische Finanzarchitektur.

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