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1987, wenige Tage nach dem GAU in der Sowjetunion, warf der Technik- und Moralphilosph Günther Anders in der taz die Frage auf: Reicht der gewaltlose Protest? Schon 30 Jahre zuvor hatte er in der FAZ die Gebote des Atomzeitalters zu Protokoll gegeben. Während die Republik sich fast 25 Jahre nach Tschernobyl schon auf den Jahrestag vorzubereiten begann, fingen diesmal in Japan die Reaktorkerne der sichergeglaubten Atomkraftwerke an dahinzuschmelzen. Wieder bzw. immer noch sind Wut und Machtlosigkeit angesichts der Zumutung solcher menschengemachten Katastrophen schwer zu ertragen. Anders antwortete sich selbst 1987:

Es gibt kein Alternativmittel, kein anderes als diese Drohung, wenn wir das Überleben unserer Generation und das der von uns erhofften künftigen Generationen zu sichern wünschen, als diejenigen, die darauf insistieren, die atomare Gefährdung des irdischen Lebens (gleich ob die “kriegerische” oder die angeblich “friedliche”) fortzusetzen und grundsätzlich Stopp-Angebote abzulehnen – es gibt keine andere Alternative, als diesen Männern ausdrücklich mitzuteilen, daß sie sich nun, einer wie der andere, als Freiwild werden betrachten müssen.
Voll Schmerz, aber entschlossen erkläre ich daher: Wir werden nicht davor zurückscheuen, diejenigen Menschen zu töten, die aus Beschränktheit der Phantasie oder aus Blödheit des Herzens vor der Gefährdung und Tötung der Menschheit nicht zurückscheuen.

Die moralische Rigorosität dieser Position isolierte Anders in der Anti-AKW-Bewegung weitgehend. Weitere Antworten von links auf die Gewaltfrage liefert ein Band aus der Reihe Texte der RLS, der 2008 unter dem Eindruck der Ereignisse beim G8-Gipfel in Heiligendamm erschienen ist: Eine Frage der Gewalt. Antworten von links, Reihe: Texte der RLS Bd. 49, hg. von Rainer Rilling (pdf).

Aber auch Anders’ analytische Überlegungen zur Untrennbarkeit von ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft blieben weitgehend wirkungslos: In der jetzt wieder aufflackernden Ausstiegsdebatte geht es nur um die kommerziell genutzten, sog. zivilen Kraftwerke. Versuchsreaktoren haben Sonderstatus und stehen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Rolle der Bundeswehr im Rahmen der sog. nuklearen Teilhabe ist ein reines Expertenthema. Aber Hiroshima und Fukushima mahnen dazu, den Ausstieg aus der Atomkraft zivil und militärisch zu denken: Im rheinland-pfälzischen Büchel lagern Bundeswehr und US-Armee gemeinsam Atomwaffen und Piloten der Luftwaffe trainieren den sog. Schulterwurf: die spezielle Flugtechnik zum Abwurf einer Atombombe. Abgereichertes Uran, ein Stoffwechselprodukt aus der Atomwirtschaft, dient in den ‘hochentwickelten’ Armeen als panzer- und bunkerbrechende Munition. Kommt die Uranmunition zum Einsatz, dann geht das mit der Entstehung giftigen Uranstaubs einher, der das Kriegsgebiet auf Jahrzehnte verseucht.

Auch konstruktive Überlegungen Anders’ zur Ausbildung einer „moralischen Phantasie“ gerieten in Vergessenheit: 1981 schreibt er in seinem Buch “Die atomare Drohung. Radikale Überlegungen zum atomaren Zeitalter”, ein Gefühl für die Wahrnehmung des „Undenkbaren“ sei zu schulen, um Folgen abschätzen zu können und einen universellen hippokratischen Eid ablegen zu können:

keine Arbeiten anzunehmen und durchzuführen, ohne diese zuvor darauf geprüft zu haben, ob sie direkte oder indirekte Vernichtungsarbeiten (sind); die Arbeiten, an denen wir gerade teilnehmen, aufzugeben, wenn diese sich als solche direkten oder indirekten Vernichtungsarbeiten erweisen sollten. (S. 137)

2 Responses to “Echo der moralphilosophisch gewendeten Wut aus einer anderen Zeit”

  1. […] grundsätzlichere Fragen stellen sich Andreas Exner, Sabine Nuss und Markus Euskirchen. Und die Gruppe dissident bringt es auf den Punkt: Atomkraftwerke sind scheiße! Ich darf […]

  2. […] Fortlaufend aktualisierte Kommentare und Nachrichten zur Lage in Japan und zur Debatte in Deutschland um den Atomausstieg […]

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