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Während die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise vor allem als Angelegenheit der einzelnen EU-Mitgliedsländer erfolgt und kaum Gemeinsamkeit und Solidarität in der EU mehrt, verstärken sich gegenwärtig drei wichtige Tendenzen: a) Der Europäische Rat, d. h. das Gremium der Regierungsspitzen, will das gemeinsame Wirtschaftsleben über schärfere Regeln und Repressionen besser funktionierend machen (dazu in diesem blog). b) Die Europäische Kommission drängt auf gemeinsame Strategien zur Stärkung von wirtschaftlicher Versorgungssicherheit und Konkurrenzfähigkeit. c) Konkrete Eliten intensivieren ihre Aktivitäten zum Ausbau militärischer Angriffsfähigkeit.

Diese Tendenzen befördern von neuem Überwachung und Kontrolle, Verzahnung von Zivilem und Militärischem sowie gefährliche politische Stimmungen.

Nach der jüngsten Tagung des Europäischen Rates sind mehrere Dokumente der Öffentlichkeit vorgelegt worden, die mit Blick auf die genannten Tendenzen Aufmerksamkeit verdienen: Da sind insbesondere einerseits die Mitteilungen der Europäischen Kommission zur Handels-, Industrie- und Energiepolitik, andererseits die Papiere der Europäischen Verteidigungsagentur und anderer militärischer Akteure.

„Das alles überragende Ziel der europäischen Wirtschaftspolitik ist rascheres Wachstum“, heißt es in der Mitteilung zur Handelspolitik. Diese stellt klar, dass „Wachstum“ Erhalt und Ausbau von Weltmarktanteilen meint.

Dem sind die drei Mitteilungen der Europäischen Kommission untergeordnet.

„Unsere Industrie ist das Herzstück Europas und unerlässlich für die Bewältigung der Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft heute und in der Zukunft steht. Europa braucht seine Industrie und die Industrie braucht Europa. Wir müssen das ganze Potenzial des Binnenmarktes mit seinen 500 Mio. Verbrauchern und seinen 20 Mio. Unternehmern erschließen“,  so EU-Kommissar Antonio Tajani. In voller Übereinstimmung mit geltender und fortgeschriebener Lissabon-Strategie bzw. EU2020 gehe es um „Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit“. Damit sind vor allem globale Konkurrenzfähigkeit und nachhaltige Profitsicherung gemeint, denn die nachhaltige Lösung sozialer, ökologischer und globaler Probleme wird nicht thematisiert, geschweige denn angestrebt.

Die Produktivität in der Industrie liegt noch etwa 10% unter dem Vorkrisenniveau. Um dies rasch zu erreichen und hinter sich zu lassen, seien „sich gegenseitig verstärkende Maßnahmen erforderlich“.

Werden die „zehn Kernpunkte“ der Mitteilung analysiert, zeigt sich ein Konzept, das  die „gesamte Wertschöpfungskette – von der Infrastruktur und den Rohstoffen bis zum Kundendienst -“ erfasst. Es orientiert auf Rechtsvorschriften, gezielte KMU-Förderung, EU-Normierung, Verkehrs-, Energie-, und Kommunikationsinfrastrukturen und Dienstleistungen, um eine Rohstoffstrategie, Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsleistungen und der Energieeffizienz sowie um Kosmos-Projekte.

Da die Kernpunkte keinesfalls auf das Stopp, die strukturelle Rückdrängung und letztendliche Überwindung sozialer und ökologischer Zerstörung zielen, wird ihre Realisierung diese forcieren. Schließlich werden Technologien und Infrastrukturen immer nur entwickelt, um konkrete Interessen zu verwirklichen. Die herrschenden Interessen-Konstellationen werden nicht angetastet. Sie sollen erhalten und ausgebaut werden. Dazu bedarf es insbesondere einer entsprechenden Handelsstrategie.

„Unsere Agenda wird uns zunehmend mit der Schnittstelle zwischen unseren internen Regeln und der externen Liberalisierung konfrontieren“, heißt es in der Mitteilung KOM(2010)612 der Europäischen Kommission. Sie erklärt zugleich, was mit den o. g. Rechtsvorschriften gemeint ist: Regeln im EU-Binnenmarkt und im Rahmen der WTO, um den Interessen der Global Player zu entsprechen. Ihnen soll auch die erwähnte KMU-Förderung zugute kommen. „Deshalb wird ein Großteil unserer Energie auf den Abschluss ausgewogener Freihandelsabkommen verwendet, die die Kommission in ihrer Strategie für ein global wettbewerbsfähiges Europa als vorrangig eingestuft hat.“ Da interessieren nicht nur Verhandlungen mit aufstrebenden Schwellenländern, um „staatskapitalistische Grundlagen“ zu bekämpfen, die EU-Vorteilen auf den Weltmärkten und „europäischer Rohstoffsicherheit“ abträglich sein könnten. Es interessieren nach wie vor arme und sehr arme Länder, ehemalige Kolonien heutiger EU-Mitglieder, die neokolonial unterdrückt und ausgebeutet werden/bleiben sollen. Schließlich will man endlich mit den Europäischen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen fertig werden. Sie seien überfällig wie auch die Doha-Runde innerhalb der WTO.

„Sobald alle laufenden und infrage kommenden Freihandelsabkommen unter Dach und Fach sind, wird die EU über Präferenzhandelsabkommen mit den meisten wichtigen WTO-Mitgliedern verfügen. Sie decken zusammen jedoch nur die Hälfte unseres Handels ab. Es ist ebenso wichtig, unsere Handels- und Investitionsverbindungen mit den anderen großen Volkswirtschaften der Welt zu intensivieren, namentlich den Vereinigten Staaten, China, Japan und Russland.“

Da es immer zuerst um die eigenen Interessen geht, wird erklärt: „Wir rufen unsere G20-Partner auf, ihre in der Finanzkrise eingeführten handelsbeschränkenden Maßnahmen zurückzufahren. Darüber hinaus werden wir energisch gegen jegliche protektionistische Tendenzen vorgehen, die unseren Interessen zuwiderlaufen könnten. Besonders schädliche Maßnahmen haben wir bereits ins Visier genommen und uns um deren Rücknahme bemüht … Darüber hinausgehend müssen wir entschieden auf die systematische Anwendung aller Handelsübereinkünfte drängen, deren Anwendung seitens unserer Partner genau überwachen und unsere Rechte durchsetzen, auch auf dem Schlichtungsweg …“

Zu „unseren Interessen“ gehören der  „Schutz“ des Eigentums, darunter des geistigen Eigentums, von EU-Produzenten, ihre Sicherheit und die Sicherheit der EU-Verbraucher/innen.

„Die nachhaltige, ungestörte Versorgung mit Rohstoffen und Energie ist von strategischer Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft.“ Und in diesem Sinne geht es weiter in der Mitteilung zur Energiepolitik, die EU-Kommissar Günther Oettinger mit den Worten einleitete: „Am Thema Energie wird sich entscheiden, wie zukunftsfähig Europa ist. Wir stehen vor mehreren, großen Herausforderungen: Steigende Energiepreise mindern unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wir sind abhängig von Importen, besonders bei Öl und Gas.

Es besteht zudem massiver Investitionsbedarf: Um veraltete Technik zu ersetzen und die Energie-Infrastruktur zu modernisieren, muss in der EU in den nächsten zehn Jahren ca. 1 Billiarde € investiert werden.

Dazu kommt noch, dass Europa dabei ist, seine Technologie-Führerschaft zu verlieren.

Und nicht zuletzt, muss Energie einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten.“

Allerdings geht es eben zuletzt um den Klimawandel und zuallerletzt um die global Ärmsten, denn diese werden nur mal nebenbei genannt. Auch nicht bei der Einschätzung des Kommissars, dass „wir“ noch nicht so gut aufgestellt seien, um den „Herausforderungen in den nächsten zehn Jahren gewachsen“ zu sein. Denn: „Es gibt noch keinen europäischen Energie-Binnenmarkt … Es fehlt die nötige Energie-Infrastruktur. … bei der Energieeffizienz müssen wir noch nachlegen“. So wie „wir“ bisher agieren, wären die 20% Steigerung der Energieeffizienz bis 2020 nicht einmal zur Hälfte erreichbar. Es würden also „überprüfbare nationale Aktionspläne gebraucht“. Die öffentlichen Hände, die 16% aller Waren und Leistungen bezahlen, müssten Energieeffizienz als „verpflichtendes Kriterium bei öffentlichen Ausschreibungen“ vorgeben.

Bis 2015 soll jedes EU-Mitglied in den Energie-Binnenmarkt integriert sein. Das wird wiederum insbesondere als Frage globaler Konkurrenzfähigkeit gesehen. Dazu gehöre „sichere und bezahlbare Energie“, nicht zuletzt aus Atomkraftwerken und erneuerbarer Energie. Mit großer Selbstverständlichkeit werden Großprojekte wie Desertec und Nabucco sowie Biokraftstoffe genannt.

Glasklar heißt es: „Wir müssen verhindern, dass China und die USA uns im internationalen Wettbewerb abhängen.“

Sowohl bei der Energie- als auch bei der Industrie- und Handelspolitik wird immer wieder ein Sicherheitsverständnis deutlich, das Sicherheit der Ressourcenversorgung und –flüsse, der technisch-technologischen und betrieblichen Abläufe meint, die komplexen Bedingungen von „Wirtschaftlichkeit“ und Profitmaximierung. Da sind dann Links zur „Internet-Sicherheit“, zur Überwachung von Technologien, Ressourcen und Gesellschaft scheinbar selbstverständlich. Links zum Militärischen werden als Normalität gesehen wie das Projekte der Kosmosforschung und –nutzung „so an sich haben“.

„Sicherheit in der globalisierten Gesellschaft bzw. Wirtschaft“ wird schnell als „Sicherheit der sich global bewegenden Staatsbürger/innen“, des eigenen Territoriums und globalen Einflussbereiche gefasst.

Das wurde gerade bei der „ersten gesamteuropäischen Internet-Sicherheitsübung“ deutlich und bei den jüngsten Diskussionen mit Blick auf den Lissabonner NATO-Gipfel.

Da müsse angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise, die auf die Haushaltsausgeben und damit auch auf die Militärausgaben drücke, klar sein: „Kooperation auf allen Ebenen! Beginnend auf dem Feld der militärischen Kapazitäten … bis hin zur Ausführung gemeinsamer kooperativer Rüstungsprogramme.“ So meinen es die VIPs der Europäischen Verteidigungsagentur und stützen sich auf den Lissabonner Vertrag. Es gehe um gemeinsame Aufgaben und Anforderungen an die Kader, um Helikopter-Trainingsprogramme, Pooling and  Sharing, um Technologiekontrolle und Projekte der Raumfahrt, um zivil-militärische Synergien, wofür wiederum der Lissabonner Vertrag neue Möglichkeiten böte. Um ihn voll nutzen zu können, wurden in den letzten Tagen verschiedene Richtlinien und Analysen vorgelegt. Sie betreffen insbesondere die Forschung und Entwicklung von Technologien, nicht zuletzt unter Nutzung universitärer Kapazitäten.

Das alles sind zusätzliche Gründe dafür, sich in linker programmatischer Debatte und erst recht in der politischen Praxis dafür zu engagieren, dass die Linken gemeinsame Positionen zur EU-Politik entwickeln und geltend machen.

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