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Der Präsident des Europäischen Rates Herman Van Rompuy resumierte die Ratstagung knapp und jubelnd „das wichtigste Ergebnis unseres Treffens ist: der Europäische Rat hat einen soliden Pakt zur Stärkung des Euros zustande gebracht.“ Damit harmoniert er voll und ganz mit Frau Kanzlerin, die zufrieden nach Hause reiste und „den Menschen“ sagt: „Unser Geld, der Euro, wird insgesamt durch die Beschlüsse sicherer, die wir hier auf diesem Rat beschlossen haben.“

Da kann sie schon ihre Bauernopfer verschmerzen (Forderungen nach Stimmrechtsentzug bei dauerhaftem Verstoß gegen Konvergenzkriterien und nach automatischer Bestrafung von Defizitsündern). Erst recht, da sie de facto Unterstützung für ihre Renten- und Gesundheitsreformpläne erhielt.

Sieht man auf die EU-Position vor dem G20-Treffen am 11./12.11. in Seoul, stellt man jedoch fest, dass zwar Protektionismus bekämpft werden soll, aber nicht die Spekulation mit Lebensmitteln, landwirtschaftlicher Nutzfläche und Rohstoffen. Und sieht man auf die EU-Aus- und Zusagen vor dem Klimagipfel in Cancun, muss man gebotene Initiativen in Sachen eigener Vorleistungen und Anpassungshilfen für arme und ärmste Länder weiter vermissen.

Der Europäische Rat konnte sich nicht einmal für die vom Europäischen Parlament geforderte moderate EU-Haushaltserhöhung 2011 erwärmen. Seine politische Prioritätensetzung ist wie gehabt und mehrt die menschheitlichen Existenzprobleme. Mehr Gemeinsamkeit wird in der EU vor allem über mehr Restriktionen und Sanktionen gestiftet, vorrangig für die Wirtschafts- und Währungsunion: Die der Öffentlichkeit Ende September von der Europäischen Kommission und der Task Force unter Van Rompuy vorgestellten Verschärfungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes[1] fanden die erwartete Wertschätzung des Europäischen Rates. Frau Merkel meint, mit diesen nun eine „Wirtschaftsregierung“ zu haben.

Der Europäische Rat will im Dezember zur begrenzten Veränderung des Lissabonner Vertrages (Artikel 7 und 122) beraten, die im März 2011 vereinbart und dafür sorgen soll, dass Ende 2013 der 440 Mrd.- Euro-Rettungsschirm durch einen permanenten Krisenmechanismus ersetzt wird. Nun bangt man wegen Irlands Regelungen zum Referendum.

Ein Krisenmechanismus ist schon nötig. Nötig ist auch – wie der Europäische Rat  zur Freude von Merkel – beschlossen hat, eine stärkere in-Haftung-Nahme von privaten Finanzinstitutionen und IWF. Allerdings wäre ein anderer Krisenmechanismus vonnöten, der insbesondere das Bail-out-Verbot (Verbot der gegenseitigen Übernahme von Schulden) und den Stabilitäts- und Wachstumspakt außer Kraft setzt, der Armut und den Ernährungs-, Klima-, Umwelt-, Energie- und Wirtschaftskrisen mildern und bekämpfen hilft.

Da wäre es sinnvoll, in Abkehr von der Lissabonstrategie bzw. ihrer Fortschreibung in Gestalt der EU2020 auf die EU-Nachhaltigkeitsstrategie zu insistieren. In diesem Sinne hätte Geldpolitik nachhaltige Entwicklung zu fördern. Aber: vorrangiges Ziel der Europäischen Zentralbank ist laut Lissabonner Vertrag die Gewährleistung von Preisstabilität. Darüber hinaus darf die EZB die Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Dabei ist sie ‚offener Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb’ – neoliberaler Wirtschaftspolitik – verpflichtet. So behindert die EZB aktive Beschäftigungspolitik und sozialökologisch nachhaltige Entwicklung. Diese brauchen gezielte Förderung und die Stabilisierung von Finanzmärkten. Dazu bedarf es intelligenter Zinspolitik, öffentlicher Aufsicht über die Finanzinstitute und des Engagements für entsprechende internationale Verhandlungen. Die Aufgaben der EZB wären also zu erweitern: Sie soll für systemische Stabilität sorgen und damit für Beschäftigung, internationale Zusammenarbeit, Investitionen in nachhaltige Entwicklung und so insgesamt für Finanzstabilität. Der EZB wäre eine handlungsfähige wirtschaftspolitische Instanz für die Eurozone gegenüber zu stellen. Eine andere  ‚Europäische Wirtschaftsregierung’ könnte ein wichtiger Partner für die erforderliche global abgestimmte Neuausrichtung ‘der Wirtschaft’ werden – vorausgesetzt, sie entsteht im Kontext mit Demokratisierung. Damit geht es nicht zuletzt um eine Reform der Wirtschafts- und Währungsunion.

Offiziell heißt es auf der Seite der Europäischen Kommission zum Stabilitäts- und Wachstumspakt: „Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) ist ein regelbasierter Rahmen für die Koordinierung der nationalen Steuerpolitiken in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Der Pakt wurde gebildet, um solide öffentliche Finanzen – eine wichtige Voraussetzung für das korrekte Funktionieren der WWU – zu garantieren. Der Pakt besteht aus einer präventiven und einer korrektiven Komponente …“. Zur Koordinierung der nationalen Steuerpolitiken braucht man diesen Pakt nicht. Aber weiter zitiert: „Angesichts der Tatsache, dass die Bevölkerung Europas immer älter wird … stehen die EU-Mitgliedstaaten infolge der drohenden Auswirkungen auf den Haushalt vor der Herausforderung, die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sicherzustellen. Zur Bewältigung dieser Herausforderung und unter Berücksichtigung des Schwerpunkts, der durch die Reform des Pakts von 2005 auf die langfristige Tragfähigkeit gelegt wurde, werden gemeinsame langfristige Haushaltsprojektionen auf EU-Ebene erstellt und die Lage der einzelnen Mitgliedstaaten bewertet und überwacht.“ Zur Auseinandersetzung mit dem demographischen Problem braucht man den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht. Diesen Pakt braucht man auch nicht zur Sicherung langfristig tragfähiger Finanzen.

Was wird wirklich gebraucht?

–          Der politische Wille zur problemlösungsorientierten Kooperation und Integration

–          Die demokratische Festlegung armutsfester sozialer und ökologischer Mindeststandards

–        Gemeinsame Ziele zur Realisierung sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklung und ihre Untersetzung

–          Ein wesentlich größerer EU-Haushalt

–          Eine diesen entsprechende Steuerpolitik bzw.  die Koordinierung der Steuerpolitiken – insbesondere einheitliche Steuerbasen und Steuersätze für Unternehmenssteuern

–          Eine Koordinierung der Haushaltspolitik und eine offensive EU-Haushaltspolitik

–          Ein intelligentes Zusammenspiel von Haushalts- und Geldpolitik

–          Eine sozial und ökologisch nachhaltiger Entwicklung verpflichtete Wirtschaftsregierung, die im ständigen Dialog mit der EZB ist

–          Die demokratische Kontrolle der EZB

–          Der Abbau von Militär, Überwachung und Repression – eine an den Menschenrechten orientierte Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Als Schritte dahin können Pakte zur Bekämpfung von Armut, zur Reduzierung von CO2-Emissionen, zum Verlust an Biodiversität und zum Rüstungsabbau vereinbart werden. Ein Ersatz des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt würde allerdings derartige Projekte ebenfalls behindern.


[1] a) Die Vorgaben für die gemeinsame Fiskalpolitik und die Lösungsansätze für makroökonomische Ungleichgewichte werden besser miteinander verzahnt; b) erschärfte Sanktionen mittels verzinslicher und unverzinslicher Einlagen sind das zentrale Element zweifelhafter Reform; c) Länder der Wirtschafts- und Währungsunion, die die Grenzwerte für ihre Haushaltsdefizite überschreiten, dürfen ihre Ausgaben nicht über das Potenzialwachstum ihrer Volkswirtschaften ansteigen lassen. Dauerhafte Verstöße können mit verzinslichen Einlagen in Höhe von 0,2% des BIP sanktioniert werden; d) eine Sanktion in Form einer unverzinslichen Einlage kann schon dann verhängt werden, wenn ein Defizitverfahren eingeleitet wurde und eine Empfehlung der Europäischen Kommission vorliegt. Folgt das Mitgliedsland nicht der Empfehlung, kann die Einlage auf 0,5% des BIP steigen; e) künftig soll ein Defizitverfahren bereits eingeleitet werden, wenn das öffentliche Defizit 60% des BIP übersteigt. Dann muss sich das Surplus um jährlich 5% verringern. Andernfalls sollen Sanktionen greifen; f) weil der Stabilitäts- und Wachstumspakt eine entsprechende Haushaltspolitik verlangt, soll es eine ergänzende Richtlinie geben – mit einheitlichen Mindeststandards für Rechnungslegung, Prognosen, Haushaltsverfahren und –vorschriften für die nationalen Budgets. Künftig sollen nationale Haushaltsregeln den Zielen des Stabilitäts- und Wachstumspakts deutlich entsprechen, so auch die mehrjährige Haushaltsplanung; g) zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte in der WWU und der gesamten EU sollen die Bilanzen bzw. die Ungleichgewichte mit Hilfe eines einheitlichen Indikatorensatzes reflektiert und bewertet werden. Hier drohen bei Ignoranz der Kommissionsorientierung Sanktionen in Höhe von 0,1% zum BIP; h) die Maßnahmen zur Senkung des Schuldenüberschusses und die strikte Ausgabenorientierung müssen einstimmig beschlossen werden, die übrigen Regelungen bedürfen der qualifizierten Mehrheit (55% der Mitgliedsländer, die 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren); i) zum Haushalt soll das EP lediglich gehört werden.

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