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Die neue S-Klasse

Sozialismus und sozial-ökologische Transformation

No time to lose. Das Hoffen auf einen Green New Deal, der Kapitalinteressen und ökologische Notwendigkeiten harmonisch verbindet, ist unrealistisch. Angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse setzt sich wahrscheinlich ein „grüner Kapitalismus“ durch, der marktförmige Instrumente und technische Lösungen favorisiert.

Dies eröffnet die händeringend benötigten Investitionsfelder fürs nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital, indem Natur und Umweltschutz zur Ware werden, ihnen ein Preisschild angeheftet wird, während nicht-profitable Bereiche vernachlässigt werden. Das E-Auto bspw. bietet Automobilkonzernen eine neue Perspektive, ändert allerdings nichts an der Struktur des Individualverkehrs, der Versiegelung der Landschaften, dem enormen Verbrauch von (z.T. hoch giftigen) Ressourcen. Ziele des GND sind Wachstums- und Exportförderung, was letztlich den Ressourcenverbrauch nicht begrenzt. Tatsächlich haben sich Verbrauch und Ausstoß von Emissionen trotz 30 Jahren Umwelt- und Klimapolitiken noch beschleunigt. Ungleichgewichte und Konkurrenz in der Weltwirtschaft schreiben sich fort oder werden verschärft. Die Erfahrungen mit Klimaverhandlungen und Zertifikatehandel zeigen: es dauert zu lang. Erfolgt der ökologische Umbau zu langsam, droht die Verschärfung von Umwelt- und sozioökonomischen Folgekrisen. Die Begrenzung der Erderwärmung auf 2 Grad ist laut IPCC bereits jetzt nicht mehr zu erreichen. Wird der Umbau wirklich konsequent betrieben, werden z.B. Emissionsrechte drastisch reduziert, ist eine Vernichtung alter Branchen und Kapitale (und entsprechende Gegenwehr) unvermeidlich. Ohne ökonomische Krisen und Brüche wird es nicht gehen. Es gibt keinen sanften Übergang.

Radikale Realpolitik

Es ist also Zeit für eine radikale Realpolitik. D.h., in den konkreten Auseinandersetzungen mit sofort umsetzbaren Schritten zu intervenieren und darin die Perspektive einer weitgehenden ökologischen und sozialistischen Transformation der gesamten Gesellschaft zu eröffnen. Dies ist nicht weniger realistisch als was der Green New Deal anstrebt: eine Umwälzung der gesamten Produktionsstruktur, der Praxis und Kultur des Konsumismus, der Ökonomie der Autogesellschaft, der Struktur unserer Städte, unser gesellschaftliches Verhältnis zur Natur… dies alles anstrebt, ohne indes die kapitalistische Produktionsweise als solche anzutasten. Dieser Weg klingt vielversprechend, aber er reproduziert die Widersprüche des Kapitalismus (z.B. die Gefahren einer ›grünen‹ Finanzblase, Kampf um Ressourcen, autoritäre Absicherung gegen die sozialen Folgen des Klimawandels). Nein, es bedarf einer viel grundlegenderen Transformation von Produktions- und Lebensweise. Dies kann kein Projekt „von oben“ sein, kein klassischer Deal. Es muss die breite Partizipation aller einschließen, damit sie die Umwälzung tragen und selbst voranbringen.

Was bedeutet das konkret? Einstiegsprojekte sind viele denkbar (siehe Candeias, Mario, Die letzte Konjunktur. Organische Krise und „postneoliberale“ Tendenzen, in: ders., Neoliberalismus. Hochtechnologie. Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen Produktions- und Lebensweise (2004), Vorwort zur Neuauflage, Berlin-Hamburg 2009): Am Beispiel der Opel-Rettung hieße das etwa, staatliche Kapitalhilfen an Beteiligungen am Eigentum zu knüpfen (oder das Unternehmen vollständig zu sozialisieren), die Beteiligung an eine erweiterte Partizipation von Beschäftigten, Gewerkschaften und Region zu binden, z.B. in regionalen Räten, die dann über konkrete Schritte einer Konversion des Automobilkonzerns in einen ökologisch orientierten Dienstleister für öffentliche Mobilität entscheiden.

Konversion bedeutet aber mehr. Eingebettet in eine makroökonomische Orientierung hieße das ganz wesentlich Transformation unserer wachstumsorientierten kapitalistischen Ökonomien hin zu einer ›Reproduktionsökonomie‹, die sich zu beschränken weiß und zugleich neuen Reichtum schafft. Konzentrieren wir uns auf eine bedürfnisorientierte solidarische Care Economy, eine Reorientierung auf öffentliche Gesundheit, Erziehung und Bildung, Forschung, soziale Dienste, Ernährung(ssouveränität), Pflege und Schutz unserer natürlichen Umwelten – zentrale Bereiche von Bedürfnissen, in denen alle immer wieder den Mangel beklagen. Dies wäre ein Beitrag zu einer wirklich ökologischen Produktions- und Lebensweise, da diese Arbeit mit Menschen und am Erhalt der Natur selbst wenig Umweltzerstörung mit sich bringt. Es wäre ein Beitrag zur Bearbeitung der Krisen von Arbeit und Reproduktion – schon jetzt sind dies die einzigen Bereiche mit kontinuierlichen Beschäftigungsaufbau. Es ermöglicht die emanzipative Gestaltung der Geschlechterverhältnisse ebenso wie die Entwicklung einer Praxis des ›buen vivir‹. Die damit verbundene Binnenorientierung, also die partielle Tendenz zu Deglobalisierung und Regionalisierung der Wirtschaft, tragen auch zum Abbau der Exportfixierung sowie von Leistungsbilanzungleichgewichten bei. Mit dem Ausbau des Öffentlichen und seiner Dekommodifizierung erfolgt die Zurückdrängung des Marktes, der Privatisierung und Inwertsetzung.

Wird die Reproduktionsarbeit im breiten Sinne ins Zentrum eines Transformationsprojektes gestellt, ermöglicht dies endlich eine Abkehr vom Wachstumsfetisch – und stellt damit zugleich mittelfristig die kapitalistische Produktionsweise als solche in Frage. Dies ist letztlich eine Frage darüber, wer eigentlich über den Einsatz der Ressourcen in der Gesellschaft entscheidet und welche Arbeiten gesellschaftlich notwendig sind. Dazu braucht es auch reflexive Elemente partizipativer Planungsprozesse. Es geht um eine radikale Demokratisierung von staatlichen wie ökonomischen Entscheidungen. Es geht um die Neudefinition und Neuverteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit – gerade nicht durch immer weitere Ausdehnung warenförmiger Lohnarbeit zur Produktion von Mehrwert, sondern durch Ausdehnung kollektiver und kooperativer Formen der Arbeit, orientiert an der Effizienz zum Beitrag menschlicher Entwicklung, zum Reichtum allseitiger menschlicher Beziehungen, zur Verfügung über Zeit.

Weder Modernisierung noch Systemhopping

Antworten auf Bärberl Höhn und Mona Bricke in Prager Frühling 06:
Die gegenwärtige ‘multiple Krise’, also die globale Verschränkung von Wirtschafts-, Klima-, Ernährungs-, Energiekrisen, weltweit zunehmender Prekarisierung, Armut und Ungleichheiten macht deutlich, dass eine Reduktion der Antwort auf eine ‘ökologische Modernisierung’ unzureichend bleibt. Auch innerhalb der Grünen gibt es eine lange Tradition weitergehender Konzepte, ein Wissen über den Zusammenhang von Ökologie, Produktions- und Lebensweise, an das wieder anzuschließen wäre. Hier gibt es viele Berührungspunkte. Die produktivistische Ausrichtung des Modernisierungsansatzes zielt auf die Einbindung der Unternehmen, ohne die es nicht geht. Doch ohne Blick auf die realen Kräfteverhältnisse wird daraus nur eine einseitige Einbindung der Grünen in die Unternehmenskonzepte von Siemens und Co. Wieder einmal lässt man es zu, ökologische und soziale Fragen getrennt zu verhandeln. Wieder einmal begibt man sich auf das vorgegebene Terrain: Ökologisierung sei nur zu haben, wenn die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes gewährleistet bleibt, die Logik des mehr produzieren, mehr exportieren, mehr Profit, mehr Wachstum erhalten bleiben. So geht es nicht. So setzt sich die ökologische Verwüstung – vielleicht etwas langsamer – fort. So wachsen die Ungleichheiten und Gegensätze in der Welt ungebremst weiter. So sind die ärmeren Gruppen der Gesellschaft wie die Länder des globalen Südens nicht für Kompromisse zu gewinnen – sie durchschauen, wem diese Modernisierung nutzen soll, Luxus der Reichen und Quellen neuer Profite zu ihren Lasten. Eine Lösung der ökologischen Probleme ist ohne das Angehen der sozialen Frage und ohne Veränderung unserer Produktionsweise nicht zu haben. Es gibt einen Gegensatz zwischen kapitalistischer Produktion und Ökologie.

Doch ist es natürlich nicht möglich in den ‘Ökokomunismus’ zu springen. Systemhopping gibt es nicht. So sehr ich diese Perspektive für richtig, den Begriff für sympathisch halte: es fehlen zwei entscheidende Punkte. 1. Die Perspektive kann keine des Verzichts sein. Selbstverständlich müssen bestimmte Formen des Konsums, bestimmte Produktionszweige schrumpfen oder ganz wegfallen. Doch andere müssen wachsen. Es gibt unzählige Bedürfnisse, die nicht ausreichend befriedigt werden können, neue die zu entwickeln wären. Nur muss es sich nicht vorwiegend um den Konsum stofflicher Güter handeln. Ich habe bereits einige Bereiche genannt. Für ein attraktives Projekt bedarf es der Andeutung überzeugender positiver Perspektiven, was alles gewonnen werden kann, für die Einzelne, wie für die Gesellschaft, ohne zu verheimlichen, welche Schwierigkeiten auftreten werden. 2. Wie kommt man da hin? Es braucht also transformatorischer Schritte, die sofort umsetzbar sind, unmittelbar die Bedingungen der Einzelnen verbessern können bzw. für Menschen, die etwa von (notwendigen) Arbeitsplatzverlusten in der Automobilindustrie bedroht werden, Übergänge schaffen. Zugleich müssen diese Sofortmaßnahmen hinaus eine Perspektive weisen und die nächsten Schritte andeuten. Ich habe dies mit Bezug auf die Konversion der Autoindustrie zum öffentlichen Mobilitätsdienstleister und der Transformation der Export- zur Reproduktionsökonomie anzudeuten versucht. In der Klimabewegung gibt es dafür zahlreiche Anknüpfungspunkte. Nur in einer transformatorischen Perspektive lassen sich die unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Interessen verbinden zu einem gemeinsam zu verfolgenden Projekt. Ein sozial-ökologisches Projekt, dass allerdings auf Widerstände treffen wird. Doch auch ein konsequenter Green New Deal wird auf Abwehr stoßen. Umso wichtiger wäre es gemeinsam Druck aufzubauen, um die Grundlage für notwendige Kompromisse mit den ‘Gegnern’ zu schaffen. Nicht wieder getrennt aktiv zu sein, die Bewegung zu spalten, sich mit subalternen Positionen an der Tafel der Herrschenden zu begnügen. For climate and social justice!

Langfassung eines Beitrages in: Prager Frühling o6, 2010: www.prager-fruehling-magazin.de/

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