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Kundus und kein Ende

In Mafia-Filmen ist es ähnlich. Der Betrachter weiß, daß der Richtige im Verhör sitzt. Doch der sagt immer nur das, was ihm gerade nachgewiesen werden konnte. So auch das „Bundesministerium der Verteidigung“ in Sachen Bombardement in der afghanischen Provinz Kundus am 4. September, bei dem mindestens 142 Menschen, darunter mindestens 40 Zivilpersonen getötet wurden. Zunächst dementierte der frühere Minister Franz Josef Jung zivile Opfer ganz; es seien „ausschließlich terroristische Taliban“ getroffen worden und der Kommandeur vor Ort habe „eindeutige Hinweise“ gehabt, daß es sich bei den Personen in der Umgebung der Tanklaster „ausschließlich um Aufständische gehandelt“ habe.
Als offenbar war, daß öffentlich gelogen und das Parlament hintergangen worden war, wurde Jung zurückgetreten. Der nachfolgende Minister Karl-Theodor zu Guttenberg erklärte die Bombardierung der Tanklaster unter Hinweis auf eine „besondere Bedrohungslage in der Region Kunduz“ als „militärisch angemessen“. Es hätte „zum Luftschlag kommen müssen.“ Ein paar Tage später meinte er, der Luftangriff sei „militärisch nicht angemessen“ gewesen, und löste in seinem Ministerium den langjährigen Staatssekretär, Peter Wichert, und den Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, ab. Bereits Ende September 2009 war der Bundeswehr-Oberst Klein, der den Befehl zur Bombardierung gegeben hatte, als Kommandeur des Einsatzbereichs in Kundus abgelöst worden.
Minister zu Guttenberg war zwischenzeitlich „vor Ort“ in Afghanistan, um vor dem Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses des Bundestages bei Truppen und Presse gute Stimmung zu machen. Die will aber partout nicht eintreten. Die Leipziger Volkszeitung berichtete Mitte Dezember 2009, daß das Kanzleramt, hohe Vertreter des Verteidigungsministeriums und Geheimdienstspitzen in die Ereignisse um die Bombardierung in Kundus bereits vor und nach dem Luftangriff einbezogen waren. Es handelte sich um eine „neue Eskalationsstufe“, die der Kriegsführung durch den damaligen Minister Jung und den Generalinspekteur Schneiderhan bereits im Juli 2009 vorgegeben worden waren: die gezielte Tötung von Führungspersonen der Taliban. In die Lenkung der Bombardierung am 4. September waren denn auch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes und des „Kommandos Spezialkräfte“ (KSK) einbezogen. Hatte das Mandat des Bundestages für den Truppeneinsatz in Afghanistan diese Leute überhaupt vorgesehen?
Ebenfalls bereits im Dezember zitierte die Süddeutsche Zeitung ausführlich aus dem ISAF-Bericht über das Bombardement. Danach ging es tatsächlich nicht um die Bombardierung der Tanklastzüge, sondern um die Tötung der 60 bis 80 Personen, die sich in jener Nacht in deren Nähe aufhielten und die für „Taliban“ gehalten wurden, darunter ein paar Taliban-Führer. Die Frage also ist, ob die „gezielte Tötung“ von Personen nunmehr zum Handlungsrepertoire der Bundeswehr gehört, und ob dabei der „Kollateralschaden“ der Tötung von Dutzenden Zivilpersonen bewußt hingenommen wird. Das ist der Kern der weiteren politischen Auseinandersetzungen um den Kunduseinsatz, der sich nun nach mehr als fünf Monaten tastender Debatte herauskristalisiert hat. Inzwischen schreiben selbst die großen Nachrichtenmagazine von „Kriegsverbrechen“.
Im Grundgesetz heißt es im Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht: das gilt nur für eingeborene Deutsche und nicht für Muslime oder gar Taliban. Wer „Taliban“ ist, müßte ein ordentliches Gericht nach Maßgabe der Schuld feststellen, nicht ein paar Geheimdienstagenten des Nachts beim Lenken von detonationsstarken Bomben. Das ist außer-rechtliche Gewalt, die nach dem derzeitigen deutschen Recht verboten ist. Wer so etwas anordnet, stellt sich außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes. Wenn dies in der Tat im Bundeskanzleramt vorbesprochen wurde, gibt es jedoch nicht mehr nur eine Personalie Jung und eine Personalie zu Guttenberg.

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