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Googleismus

In der FAS vom 20.12.2009 widmet sich Frank Schirrmacher auf S. 20 unter dem Titel “Die Welt ist eine Google” der “neuen Phase von Gleichzeitigkeit”, zu der die von Google avisierte Echtzeitsuche führen werde: “Echtzeitpolitik, Echtzeitkonsum, Echtzeitjournalismus.” Schirrmacher:

“Die Brücke zwischen virtueller und wirklicher Wirklichkeit bricht gerade hinter uns zusammen…Wir sind, wo wir auch sind, im Netz…in einer Zeit des freien Zugangs zu allen Inhalten (…). Das Wesen der neuen Technologien ist, das es praktisch niemanden mehr gibt, der sie nicht bedient und benutzt…Es geht hier im Kern um Systeme, die menschliche Kommunikation industrialisieren, extrahieren und ausbeuten. Es geht um das Geschenk der freien Meinungsäußerung für alle und jeden. Und es geht darum, wie die Inhalte dieser Meinungsäußerungen in Systemen perfektioniert werden, die menschliches Verhalten aufzeichnen, auswerten und für industrielle Zwecke verwerten. Niemand kennt Googles Algorithmus – und erst recht nicht diejenigen all der kleinen Googles, die in Unternehmen exakt auf die Bedürfnisse des Personalmanagements zugeschnitten werden -, aber es ist eindeutig, dass dieser “Verarbeitungsprozess” in Wahrheit eine moderne Form der Bürokratie ist. (…) die Regisseure unserer Existenz sind die Softwarecodes, und je perfekter sie werden, desto notwendiger werden Dolmetscher, die sie in Alltagssprache übersetzen.”

Kleinlich mutet angesichts des weiten Schwungs dieser Rede vom echtzeitlichen Wirklichkeitszusammenbruch der Einwand an, dass, wer – gleichgültig wo er gerade im Netz so ist – das Geschenk des freien Zugangs zu den 1675 Wörtern dieses Beitrags erhalten möchte, eine nicht ganz unwesentliche Bedingung erfüllen muss – obwohl es doch “praktisch niemanden mehr gibt”, der diese neue Technologie “nicht bedient und benutzt.” Diese nicht triviale Bedingung, dass der befristete Zugang zur freien Meinungsäußerung und ihrem materiellen Substrat käuflich erworben werden muss (“Auch wenn Sie die F.A.S. nicht abonniert haben, können Sie diesen Beitrag zum Preis von 2,00 € für 24 Stunden nutzen”) indiziert eine verborgene politische Ökonomie unseres Zusammenbruchstheoretikers: während im gräulichen Einheitsgeschwurbel des Googleismus, den Schirrmacher hier verbreitet,  das Innere der sozialen Wirklichkeit (“Algorithmus”) unerkennbar wird und bestenfalls noch vorstellbar bleibt als Objekt einer mystischen “Bürokratie”, die den Code als ‘Regisseur unserer Existenzen’ realisiert, winkt in der wirklichen Wirklichkeit der von Schirrmacher komplett unterschlagene Traum einer neuen Einheitswelt, die ganz neue Dimensionen der Kapitalverwertung und -kalkulierbarkeit en detail verspricht. Ein New Deal, grün oder rot? Kein Problem – Hauptsache, die Stückelung der Vernutzungszeit der Natur oder der Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft kann trillionenfach in Millicents repräsentiert werden. Das ist der Algorithmus des großen Deals der Google und Microsoft. Ihn zu bearbeiten, wäre linke Echtzeitpolitik.

[Während übrigens die FAS Schirrmachers Google unverdrossen als Ware präsentiert, ist im FAZ-Net, kaum neigt sich der Sonntagsmarkt der FAS zur Neige, ein Textklon in die “Zeit des freien Zugangs” übergewechselt.]

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