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Am 24.11.2009 legte die Europäische Kommission ihr „Arbeitsdokument“ zur „Konsultation über die künftige EU-Strategie bis 2020“ vor und beförderte Hektik. Keineswegs kann sie überzeugend erklären, warum der Europäische Rat auf seiner Frühjahrestagung im März unbedingt die neue Strategie beschließen soll, denn: Zum einen wird ja (leider) die bisherige Lissabonstrategie für 2010 nicht außer Kraft gesetzt. Zum anderen sind einige Fragen zur Realisierung des Lissabonner Vertrages noch unklärt – so zur Durchführung von Bürgerbegehren. Befürchtet man etwa, ein Bürgerbegehren in Sachen „EU-Strategie 2020“ könnte stören? Zum Dritten soll während der spanischen Präsidentschaft der Bericht der González-Gruppe zur Zukunft Europas 2030 vorgelegt werden. So sieht selbst Jacques Delors keinen rechten Sinn, im Frühjahr eine EU-Strategie bis 2020 zu beschließen und fordert eine europäische Zukunftsdiskussion.Nun bittet die Kommission um Meinungsäußerungen zu ihrem Papier bis 15.1.2010. Da kann und sollte der Aufruf von “socialplatform”, die Annahme der Strategie 2020 zu verschieben, unterstützt werden. 

Das “Arbeitsdokument” der Europäischen Kommission spiegelt in drei Punkten eine gewisse Lernfähigkeit wider: Erstens ist es nicht einfach ein aggressiv formuliertes Papier, dass einzig auf Konkurrenzfähigkeit, auf „offene Märkte“ bzw. Marktliberalisierung fixiert; zweitens orientiert es auf sorgsameren Umgang mit dem Humankapital, das – allerdings sehr wohl aus Gründen von Konkurrenzfähigkeit – verbessert werden soll; drittens werden schon einige große Schwierigkeiten bei der Umsetzung der noch geltenden Lissabon-Strategie und bei der Auseinandersetzung mit den anhaltenden Krisen reflektiert.

Dennoch ist das Papier für eine Politik, die den sozialen, ökologischen und globalen Problemen verantwortungsvoll Rechnung trägt, keineswegs geeignet, denn man hält fest an globaler Standortkonkurrenz, an der Verteidigung und Stärkung von Positionen auf den Weltmärkten.

Notwendig und geeignet wären die Aussetzung der geltenden Lissabonstrategie und damit auch ihrer Außenwirtschaftsstrategie „Global Europe“ und der „Sozialagenda“. Entweder müsste eine neue Strategie – 2020 oder 2030 – der zu vervollkommnenden EU- Nachhaltigkeitsstrategie untergeordnet werden oder die qualifizierte EU- Nachhaltigkeitsstrategie macht andere Strategien überflüssig. Deren Prioritäten müssten sein: a) Bekämpfung von Armut in der EU, in Europa und weltweit, von sozialer Ausgrenzung – darunter von Arbeitslosigkeit und Prekarität – und von (wachsenden) sozialen Spaltungen bei drastischer Reduzierung klimaschädigender Emissionen; b) Erhalt von Biodiversität bei sozialökologischer Wende in der Energiewirtschaft und im Verkehrswesen; c) Steigerung der Ressourceneffektivität (auch und insbesondere im Gesundheitswesen), Demokratisierung von Entscheidungen zum Ressourceneinsatz- und zur Ressourcennutzung.  

Hingegen spricht das „Arbeitsdokument“ der Kommission vom „Ziel, Europa zu einem führenden, wettbewerbsfähigen, florierenden und vernetzten Wirtschaftsraum zu machen, der sich umweltfreundlicher und integrativer als bisher präsentiert, schnelles und nachhaltiges Wachstum aufweist und für ein hohes Maß an Beschäftigung sowie für sozialen Fortschritt steht. Ohne eine gestärkte und wettbewerbstaugliche industrielle Basis, einen modernen Dienstleistungssektor und eine florierende Wirtschaft im ländlichen Raum und im maritimen Sektor kann Europa diese Ziele nicht erreichen. In der Rolle des ‚Vorreiters’ beim Aufbau dieser Gesellschaft der Zukunft kann Europa durch die Entwicklung wettbewerbsfähiger innovativer Produkte, den Ausbau zukunftsorientierter Infrastrukturen, die Erschließung neuer Märkte sowie die Schaffung neuer hochwertiger Arbeitsplätze in erheblichem Maße profitieren. Ein weltoffenes Europa wird mit seinen Werten weiterhin Vorbild sein und dabei weltweit zur Setzung verbesserter Standards für den Arbeitsmarkt, den Umweltschutz und für Sicherheit beitragen. So vermag die EU in einer globalen Führungsrolle zu demonstrieren, dass es – unter den geeigneten politischen Rahmenbedingungen und unter Nutzung der durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen neuen Akteure und Strukturen – möglich ist, im Interesse einer anhaltenden Wirtschaftsdynamik offen zu sein und gleichzeitig die sozialen und Umweltbelange unserer Bürger zu berücksichtigen.“

Die Erfahrung hat eindeutig gezeigt, dass die Orientierung auf Erhalt und Stärkung von globaler Konkurrenzfähigkeit nicht zusammengeht mit der demokratischen, gerechten und solidarischen Lösung von Problemen. Lange vorbei ist der Zeitpunkt, da es noch möglich war, relativ schmerzarm für die Bevölkerungsmehrheiten im globalen Norden die Produktions- und Konsumtionsstrukturen so zu wandeln, dass zugleich gegen globale Armut, globale Erwärmung und schwindende Biodiversität wirksam vorgegangen wird.

Im „Arbeitsdokument“ heißt es: „Der Ausstieg aus der Krise sollte gleichzeitig der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen nachhaltigen sozialen Marktwirtschaft, einer intelligenteren, ökologischeren Volkswirtschaft sein, in der wir durch Innovation und bessere Ressourcennutzung Wohlstand schaffen und Wissen als entscheidenden Faktor einbringen werden. Mit Hilfe dieser neuen Antriebskräfte dürfte es uns gelingen, andere Quellen für nachhaltiges Wachstum zu erschließen und neue Beschäftigung zu schaffen, um gegen die höhere Arbeitslosigkeit, die unsere Gesellschaften in den kommenden Jahren bedroht, vorzugehen.“

Soll jedoch die schon längst ablaufende Katastrophe bekämpft werden, müssten – anders als die Kommission sagt – in der EU fünf Imperative Politik bestimmend werden:

  1. das gesellschaftliche Produktions-, Zirkulations- und Konsumtionssystem innerhalb von 10 Jahren so umstrukturieren, dass die Emissionen und der Ressourcenverbrauch drastisch sinken
  2. bis Mitte des Jahrhunderts die Ressourcenproduktivität verzehnfachen
  3. für die Zeit danach eine „Nichtwachstumswirtschaft“ realisieren
  4. Bürgerinnen und Bürger als Akteure des Strukturwandels gewinnen, was mit erheblichen Belastungen für sie verbunden ist
  5. konsequent Krisen- und Konfliktprävention sowie ziviles Krisen- und Konfliktmanagement, aktive Friedens- und Sicherheitspolitik betreiben.

Dagegen sieht die Kommission „in den nachstehenden Prioritäten die wichtigsten Triebfedern“ ihrer Ziele für das Jahr 2020:

(1) Wertschöpfung durch wissensbasiertes Wachstum; (2) Befähigung zur aktiven Teilhabe an integrativen Gesellschaften; (3) Schaffung einer wettbewerbsfähigen, vernetzten und ökologischeren Wirtschaft.

Dabei „entstehen neue Arbeitsplätze, die neue Fähigkeiten verlangen. Der Übergang zwischen den einzelnen Arbeitsverhältnissen, zwischen Ausbildung und Erwerbstätigkeit muss erfolgreich gestaltet werden. Daher sollte auf ein umfassendes Flexicurity-Konzept zurückgegriffen werden. Es geht darum, die besten Wege zu finden, einerseits die Flexibilität der Arbeitsmärkte sowohl im Hinblick auf die Arbeitsorganisation als auch auf die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu verbessern, und andererseits durch lebenslanges Lernen und einen angemessenen Sozialschutz Sicherheit zu bieten.“

Für den angestrebten „umfassenden Transformationsprozess“ wird an den bisherigen Instrumentarien, insbesondere am Wachstums- und Stabilitätspakt und an „Strukturreformen“ für ein besseres Funktionieren des Binnenmarktes in der globalisierten Welt  festgehalten. Damit aber werden soziale ökologische und globale Probleme zugespitzt.

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